Zwanghaftes Verhalten ist kein ungewöhnliches Phänomen bei Magersüchtigen,
im Gegenteil, denn es stellt eine von vielen Begleiterscheinungen des
Untergewichtes da!
Mein ganz persönliches zwanghaftes Verhalten zeigte sich bei mir in meiner
Arbeitsweise. Ich wollte nie bloß nur meinen Job machen, nein, ich wollte
besser sein, mehr leisten, und etwas ganz besonderes darstellen!
Ich habe selbst nicht bemerkt, das das was ich tatsächlich geleistet habe
mit jedem neuen Tag an meinem Perfektionismus ins unermessliche wuchs!
Mein ganz persönlicher Ehrgeiz die Welt verändern zu können war nicht
mehr zu bremsen!
Dabei ist das Resultat tatsächlich "perfekt" zu sein ein
Dauerauslöser für weitere Konflikte meiner Umwelt - weil kein anderer
solch zwanghaftes Verhalten kennt, zeigt oder gar nur ansatzweise versteht!
Ich weiß nicht mehr wirklich wie oft ich auf meiner Arbeit zusammen
gebrochen bin und auf dem Boden lag, ich weiß nur,
das ich immer wieder aufstand und weiter machte,
und all die Hilferufe meines Körpers ignorrierte!
Bis im August 2008, wo ich nur noch 36 kg wog
und nicht mehr aufstand!
Ich habe alles gegeben und noch mehr,
und beinahe dafür mit meinem
Leben bezahlt!
Hungern bis auf die Knochen machte mich irgendwie auch stolz und
zeigt auch eine gewisse Stärke zum Verzicht!
Dabei unterdrückte ich nicht nur mein Bedürfnis auf Nahrung, nein sondern
auch meine Ängste, meine Hilflosigkeit, meine Einsamkeit, meine Sehnsucht
nach Anerkennung und nach liebe.
Ich war fest davon überzeugt, nur dann ein liebenswerter Mensch zu sein,
wenn ich perfekt bin und verdrängte den Gedanken Schwächen zeigen
und Fehler haben zu dürfen!
Und jeder von uns Magersüchtigen hat oder wird, früher oder später einmal
einen ganz bestimmten Satz als Rat seiner Umwelt hören:
"Iß doch einfach wieder normal"!
Das ist ein wunderbarer Vorschlag, nur hilft er nicht das Geringste und
spiegelt hier die Sichtweise und Ahnungslosigkeit unserer Umwelt wieder!
Wir können nicht -einfach- wieder jederzeit damit aufhören zu hungern,
weil unser Körper ebenso durcheinander ist wie unsere Psyche und unser
Verhalten zur Nahrung! Es ist nicht gelogen wenn Magersüchtige
argumentieren das sie nur noch die Mengen eines Spatzes bewältigen
können, weil tatsächlich der Magen mit der Zeit schrumpft!
Und Magersüchtige haben keine Vorstellung mehr von -normal- oder
üblichen Nahrungsmengen, da sie es wahrhaftig verlernen und vergessen!
Wenn ein essgestörter Mensch wieder zu essen beginnt,
setzt er sich seinen allergrößten Ängsten aus!
Seltsamerweise haben unsere Mitmenschen ein falsches denken
über unser merkwürdiges Essverhalten:
Wenn ich tatsächlich eine ganze Pizza vor den Augen anderer
komplett und ganz verzehre sind sie schon wieder da,
diese verblüffenden Blicke der fassungslosigkeit
mit der zusammenhängenden üblichen Frage:
"Warum ist Sie denn so mager, wenn Sie so gut ißt"
ohne auf den Gedanken zu kommen, das diese eine Pizza
das einzige und letzte ist für die nächsten 10 Tage!
Mein Verhalten löste in meiner Umwelt gleichermaßen Hilflosigkeit,
Unverständnis, Angst und Sorge aus; aber leider auch Wut, Ärger,
Enttäuschung und Neid!
Keine Essgestörte würde ihre Handlungen hinterfragen
oder merken das sie absonderlich sind,
nein, sie halten daran fest und umklammern diese förmlich!
Meinem Partner gegenüber hatte ich nicht mal ein schlechtes
Gewissen, seine tägliche absurde Frage ob ich denn heute
schon was gegessen habe mit einem unwahren "Ja"
zu beantworten!
Und hier eine Bitte an alle Partner, Angehörigen oder Freunde:
Wie unlogisch ungänzlich völlig unpassende und dumme Frage kann
man einer Magersüchtigen bitteschön stellen!?
Es ist genau die selbe Inhaltlich gleiche Frage wie die:
"Wie gehts Dir"?
Stellen Sie sich vor - und ich habe es getestet - Sie bekämen
folgende antwort: "Schlecht, weil . . . "
Will niemand hören, interessiert keinen, falsche Antwort!
Würden Sie einen Alkoholiker täglich fragen:
"Na heut schon paar Promille intus?"
Oder einen Drogenabhängigen jeden Tag fragen:
"Und, heute schon gekokst?"
NEIN!
Magersucht ist eine Suchterkrankung!
Leider vergessen das die meisten Menschen!
"Natürlich habe ich gegessen", und unsere Phantasie über was
und wieviel kennt da keine Grenzen!
Auch wenn Sie täglich etwas kochen, mit dem Hintergedanken
etwas Gutes tun zu wollen, lassen Sie es!
Ich hatte auch hier kein schlechtes Gewissen meinen
vorbereiteten Teller im Klo zu entleeren und zu behaupten
wie lecker es doch war!
All diese Dinge helfen in keinster Weise einer Magersüchtigen
ihr Verhalten plötzlich einzustellen, oder gar ihr Essverhalten
in irgendeiner Art und Weise zu verändern!
Und obwohl ich spürte, das ich mit meinem Verhalten bei den Menschen
die mich lieben nur Schmerz, Kummer und Sorgen auslöste, fühlte ich mich
nicht in der Lage etwas an diesem Zustand ändern zu wollen!
Im Gegenteil, ich habe mich mit Händen und Füßen gewehrt wieder
essen zu müssen, habe meine Therapien boykotiert,
mehrere Krankenhausaufenthalte abgebrochen,
getrickst und gelogen und habe mein krankhaftes Verhalten
verteidigt gegen alles und jeden!
Es muss viel geschehen, bis ein Mensch so verzweifelt ist,
dass er sich nicht mehr anders zu helfen weiß,
als das er fest daran glaubt, der Verzicht auf Nahrung
sei die Lösung aus dem Dilemma seines Lebens!
Und wir kennen die Risiken, Nebenwirkungen und Folgeschäden
unserer Krankheit und gehen mit diesem Wissen um wie der
gleichgültige Raucher - wir ignorieren es!
Wir sind uns durchaus bewußt, das wir sterben können!
Aber wollen wir es noch, wenn man wirklich am Ziel
angekommen ist!?
Mein Ziel war es der Welt mitzuteilen und zu zeigen
"Seht her, ich bin das Opfer"!
Und nach zahlreichen Therapien habe ich gelernt der Welt die Wahrheit
anders mitzuteilen, es nicht mehr auf meinen Körper zu produzieren
sondern auf seinen ganz eigenen Platz, dieser Internet - Seite!
Sabine Dettloff
Die Gründe für eine Essstörung sind vielseitig und tiefgründig!
Sie bedürfen fachlicher Behandlung!
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